Erfahrungen, Verwaltungsabläufe und mögliche Verbesserungen:
Interview mit der Winser Integrationsbeauftragten über ihre mehr als zehnjährige Tätigkeit
Im folgenden Interview teilt die Winser Integrationsbeauftragte ihre Erfahrungen aus über zehn Jahren Arbeit im Bereich Migration und Integration. Sie spricht über ihre persönlichen Anfänge, die Herausforderungen von Asylsuchenden und ihre Wünsche für eine verbesserte Integrationspolitik.
Wie bist du zu dieser Tätigkeit gekommen?
Wie bist du zu dieser Tätigkeit gekommen?
Ich bin im Jahr 2003 mit meiner Familie (Mann und zwei Söhne) aus Aserbaidschan nach Deutschland gekommen. Somit habe ich selbst einen Migrationshintergrund. Als ich in Deutschland ankam, war ich völlig auf mich selbst gestellt. Ich sprach kein Wort Deutsch, keiner konnte meine Fragen beantworten. Ich habe mir dann mit einem Wörterbuch die deutsche Sprache beigebracht, es gab damals keinen Deutschkurs für Migranten in Winsen. Ich kam aus einer völlig fremden Kultur, zwei Jahre ging es kaum voran. Ich hatte in Aserbaidschan als Buchhalterin gearbeitet, bin davor 11 Jahre zur Schule gegangen, zuerst gehörten wir zur Sowjetunion, dann wurde Aserbaidschan unabhängig und das Schulsystem war plötzlich ganz anders.
Meine Kinder waren fünf und zweieinhalb Jahre alt, als wir in Deutschland ankamen. Ich habe mich sofort darum gekümmert, für die Söhne einen Platz im Kindergarten zu bekommen, weil ich wusste, dass es das Beste für sie ist, um in Deutschland Fuß zu fassen.
Ich selbst sprach Aserbaidschanisch, Russisch, Türkisch und Persisch. Immer wenn ich Frauen in meiner Sprache reden hörte, sprach ich sie an, und bat um Hilfe. Dann lernte ich Ingrid Schröter kennen; wir gründeten gemeinsam den Multikulti-Frauentreff, der sich einmal in der Woche nachmittags in der Bibliothek traf, um sich auszutauschen. Ganz schnell bildete sich daraus ein fester Kreis und wir gründeten im Jahr 2005 einen Verein.
Im selben Jahr nahm ich einen gemeinnützigen Ein-Euro-Job im Johannes-Kindergarten bei Frau Martin-Scheer an, um Sprache und System in Deutschland besser kennenzulernen. Obwohl ich immer noch keine Arbeitserlaubnis besaß, erhielt ich 2007 eine Arbeit in einem Altenpflegeheim. Ich flehte die Inhaberin an, sich für mich einzusetzen, und tatsächlich gelang es ihr, bei der Ausländerbehörde eine Arbeitsgenehmigung für mich zu bekommen. Ich arbeitete dort in der Küche für den Frühstücks- und Mittagsdienst.
Bei einem Behördengang entdeckte ich in der Ausländerstelle im Landkreis Celle eine russischsprachige Broschüre der Volkshochschule, stellte darüber sofort Kontakt mit der VHS Celle her und gründete eine Sprachgruppe in Winsen.
Irgendwann stand die Gemeindebücherei nicht mehr für unseren Treff des Multi-Kulti-Frauentreffs zur Verfügung, aber glücklicherweise bot uns Andrea Tanke einen Raum über ihrem Ladengeschäft, der Pusteblume, an. Frau Tanke war es dann auch, die mich dem damaligen Bürgermeister, Herrn Hemme, vorstellte. Sie hatte mich an einem verkaufsoffenen Sonntag einen Stand vor ihrem Ladengeschäft aufstellen lassen, damit ich auf unseren Verein aufmerksam machen konnte. Im Jahr 2006 hat sich unser Verein dann in traditionellen Kleidern, die wir alle aus unseren Heimatländern haben kommen lassen, präsentiert.
Ich selbst habe oft Migrantenkinder im Kindergarten und in der Schule beobachtet und dabei festgestellt, dass sie von den anderen Kindern aufgrund der Sprachbarriere nicht recht anerkannt wurden. Daraufhin habe ich zusammen mit dem Schulleiter einen Talentwettbewerb organisiert, wodurch meine Kinder und Jugendliche dann besser in der Gemeinschaft aufgenommen wurden.
Parallel hatte ich dann im Jahr 2010 die Möglichkeit, in Hannover ein Kontaktstudium zur Sozialarbeiterin, damals organisiert von der Universität Oldenburg, zu absolvieren. Dort konnte ich neben der Ausbildung zum Sozialarbeiterin auch meine Deutschkenntnisse erweitern. Danach nahm ich an einem Basisprojekt der Volkshochschule für 14 Familien aus Russland, der Türkei und aus Aserbaidschan teil, von denen zwölf Familien das Bleiberecht und somit auch das Recht, eine Arbeit aufzunehmen, erhielten.
Während meiner Ausbildung im Rahmen des Kontaktstudiums habe ich bereits ehrenamtlich für die Gemeinde Winsen (Aller) einmal wöchentlich Beratungsgespräche in meinen Sprachen durchgeführt. Ab 2011 habe ich als Mini-Jobberin in der Grundschule für das Projekt „Schüler helfen Schülern“ (SHS) gearbeitet, bevor ich 2012 eine Vollbeschäftigung beim Paritätischen Wohlfahrtsverband als Schulsozialarbeiterin in der OBS Winsen (Aller) aufnahm. 2014 trat ich eine Anstellung als Integrationsbeauftragte für die beiden Gemeinden Hambühren und Winsen (Aller) an. Als die Arbeit für eine Person zu viel wurde, sorgte Herr Oelmann zusammen mit dem Winser Gemeinderat dafür, dass die Gemeinde Winsen (Aller) eine eigene Stelle als Integrationsbeauftragte einrichtete. Diese übe ich bis heute mit großer Leidenschaft aus.
Jeder, der mich auf meinem Weg unterstützt hat, wird sich beim Lesen des Textes wiederfinden. Ich möchte hier die Gelegenheit nutzen, um mich ganz herzlich bei meinen Unterstützerinnen und Unterstützern zu bedanken. Ohne euch hätte ich vieles nicht geschafft.
Warum ist die Verbindung von Migration und Integration so wichtig?
Warum ist die Verbindung von Migration und Integration so wichtig?
Die Migration hat sich in den letzten Jahren sehr verstärkt. Es gibt zwei Arten von Migration,
erstens die freiwillige Migration und die Migration aus der Not heraus. Für die freiwillige Migration entscheiden sich die Personen gezielt, da sie in ihrem neuen Heimatland mehr Chancen auf ein besseres Leben besitzen: Sie haben z. B. Aussicht auf größeren beruflichen Erfolg oder eine bessere Versorgung in ihrem neuen Heimatland (z. B. Gesundheits- oder Altersversorgung). In diesem Fall sind die Menschen meistens schon sehr gut über ihre neue Heimat informiert und verfügen vielleicht sogar bereits über Sprachkenntnisse.
Seit 2014 erleben wir allerdings fast nur noch eine Migration, die aus Kriegen und Gewalt in den Herkunftsländern resultiert; die Menschen müssen fliehen und sind heimatlos. Auch in den Folgejahren 2015, 2016 und 2017 flohen die meisten Migranten wegen eines Krieges in ihrer Heimat nach Europa.
Seit dem 1. März 2020 haben wir in Deutschland das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Dieses sorgt dafür, dass Fachkräfte schneller und unbürokratischer in Deutschland arbeiten können. Die Verdienstgrenze für die blaue Karte wurde abgesenkt und eine Chancenkarte mit Punktesystem wurde eingeführt. Die Einführung des Gesetzes beweist, dass Deutschland „qualifizierte Einwanderung nicht nur hinnimmt, sondern auch will und fördert“.
Integration, so sagt man, erfolgt auf verschiedenen Wegen. Wenn sie gut funktionieren soll, braucht sie immer zwei Seiten, wie die Liebe. Die Migranten müssen die Sprache und die Kultur, das System und die Menschen in ihrem neuen Heimatland kennenlernen. Die Einheimischen im Einwanderungsland müssen sich den Migranten öffnen, sie müssen ihnen die Kultur und Mentalität nahebringen. Das ist umso wichtiger, je größer die Zahl der Migranten ist, damit das Einreiseland seine Sprache, Gebräuche und kulturelle Identität bewahrt.
Dies kann nur funktionieren, wenn beide Seiten aufeinander zukommen. Dabei hilft es meiner Erfahrung nach sehr, die Migranten zu Festen einzuladen, ihnen die Umgebung in ihrer neuen Heimat zu zeigen, damit sie es leichter haben, schnell in der neuen Gesellschaft anzukommen. Sich an Behördengänge und allgemein die Bürokratie zu gewöhnen sowie neue Pflichten anzunehmen, ist sehr schwer; darum ist es wichtig, dass die Neuankömmlinge auch die schönen Seiten kennenlernen.
Was passiert, wenn ein Asylsuchender in Niedersachsen ankommt?
Was passiert, wenn ein Asylsuchender in Niedersachsen ankommt?
Wir haben in Niedersachsen in verschiedenen Städten Landesaufnahmebehörden. Zum Beispiel in Braunschweig und Friedland bei Göttingen. Dort kommen die Flüchtlinge an und werden aufgenommen.
Als erstes müssen sie ihre persönlichen Daten angeben; wer seinen Pass oder eine Identitätsbestätigung bei sich hat, muss dies abgeben. Dort werden sie zunächst auch untergebracht.
Die Flüchtlinge müssen sich zwei Interviews unterziehen. Beim ersten Interview haben sie zu erklären, auf welchem Weg sie nach Deutschland gekommen sind. Beim zweiten Interview müssen sie die Umstände darlegen, die zur Flucht geführt haben, und warum sie um Asyl bitten.
Bei diesem Interview muss der Asylsuchende erklären, wie er persönlich betroffen oder in Gefahr war. Dies muss nicht ausschließlich am Krieg liegen, oft waren auch andere Gründe ausschlaggebend, wie z. B. Homosexualität oder Gewalt in der Familie.
Es gibt aber auch wirtschaftliche Gründe um aus dem Heimatland zu fliehen, dieses ist oft bei Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern der Fall.
Wie werden die Asylbewerber dann auf die einzelnen Gemeinden verteilt?
Wie werden die Asylbewerber dann auf die einzelnen Gemeinden verteilt?
Es gibt für jede aufnehmende Gemeinde einen Schlüssel, der anhand der Einwohnerzahl einer Gemeinde ermittelt wird. Nach diesem Schlüssel werden die Asylsuchenden auf die Kommunen verteilt.
Neuerdings werden sie bereits nach dem ersten Interview verteilt. Vorher wurden beide Interviews in der Landesaufnahmebehörde geführt. Das war dann für die Flüchtlinge besser, weil sie dadurch schneller in alle weiteren Prozesse kamen und somit schneller integriert werden konnten.
Jetzt müssen sie meistens sehr lange auf das zweite Interview warten, wodurch sich sämtliche Prozesse, wie Teilnahme an Sprachkursen, Arbeitserlaubnis und einiges mehr, sehr verzögern.
Wie geht es in der Gemeinde Winsen (Aller) dann weiter für die Asylsuchenden?
Wie geht es in der Gemeinde Winsen (Aller) dann weiter für die Asylsuchenden?
Als erstes bekommt jeder Neuankömmling einen Begrüßungsbeutel mit umfangreichem Informationsmaterial in seiner Landessprache, der von unserem Integrationsbüro zusammengestellt wird.
Hier sind Broschüren und Listen von Ärzten, Vereinen, Schulen, Kindergärten und allem Notwendigem enthalten. Das Sozialamt ist für die Bereitstellung der Unterkünfte verantwortlich.
Die Asylsuchenden werden am Tag ihrer Ankunft vom Sozialamt und von mir als Integrationsbeauftragter in Empfang genommen, wir bringen sie dann in ihre Unterkünfte. Dort hat das Sozialamt bereits alle notwendigen Sachen für die ersten Tage, z. B. Lebensmittel und Hygienebedarf hinterlegt, sodass sie versorgt sind und erstmal in Ruhe ankommen können.
Nach ein paar Tagen besuche ich die Neuankömmlinge und kümmere mich für sie um Termine bei der Ausländerbehörde, damit Ausweise und Pässe auf die neuen Adressen geändert werden können.
Welche Rechte hat ein Asylsuchender und welche Pflichten hat die Gemeinde Winsen (Aller)?
Welche Rechte hat ein Asylsuchender und welche Pflichten hat die Gemeinde Winsen (Aller)?
Auf Landesebene sind monatlich Leistungen für die Asylbewerber vorgesehen, die diese beanspruchen können. Die Unterkünfte müssen eine Grundausstattung haben.
Leider haben die Asylsuchenden in den ersten drei Monaten kein Recht, sich Arbeit zu suchen; sie haben in dieser Zeit auch keine reguläre Krankenversicherung. Das Sozialamt ist hier verpflichtet, Krankenscheine im Notfall für Schmerzbehandlungen auszustellen.
Wer entscheidet über die Zusammensetzung der Bewohner für eine Unterkunft?
Wer entscheidet über die Zusammensetzung der Bewohner für eine Unterkunft?
Das Integrationsbüro entscheidet zusammen mit dem Sozialamt über die Zusammensetzung der Mitbewohner für eine Unterkunft. Glücklicherweise funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut.
Bevor die Migranten ankommen, besprechen wir bereits, welche Landsleute gut zusammen in welche Unterkunft passen könnten. Momentan haben wir 26 Unterkünfte und können auch meistens Menschen aus einem Herkunftsland zusammen unterbringen.
Sie kommen zwar nicht immer aus ein und derselben Region eines Landes, aber aus einer gemeinsamen Kultur. Und das ist schon von großem Vorteil, die Wahrscheinlichkeit eines guten Miteinanders ist in den zum Teil doch sehr einfachen und manchmal auch engen Unterkünften größer.
Da wir in engem Kontakt mit den Migranten stehen, ab und an auch Hausbesuche durchführen, können wir bei Problemen schnell helfen. Die Migranten wissen, dass wir immer für sie, auch an Wochenenden, ansprechbar sind.
Was passiert, wenn die Gemeinde keine Unterkünfte mehr zur Verfügung hat?
Was passiert, wenn die Gemeinde keine Unterkünfte mehr zur Verfügung hat?
Das ist durch die gute Zusammenarbeit von Ordnungsamt, Sozialamt und Integrationsbüro zum Glück bisher bei uns in Winsen (Aller) noch nicht vorgekommen.
Auch während der großen Flüchtlingswellen konnten wir genügend Wohnraum für die Migranten zur Verfügung stellen und mussten nicht auf Zelte oder Wohncontainer zurückgreifen.
Unsere große Hoffnung ist, dass es zukünftig weniger Migranten und vor allem weniger Kriege geben wird.
Welche Form der Unterstützung erhält ein Asylsuchender?
Welche Form der Unterstützung erhält ein Asylsuchender?
Solange sie nicht im Arbeitsprozess stehen, erhalten sie Asylbewerberleistung. Ab dem dritten Monat dürfen sie sich eine Arbeit suchen. Sie können sich dann um eine Arbeitsstelle bewerben.
Und wenn sie dann einen Arbeitgeber gefunden haben, muss dieser ein Formular zur Zustimmung für eine Arbeitserlaubnis für die Ausländerbehörde ausfüllen. Die Entscheidung wird von der Ausländerbehörde nach ungefähr vier bis sechs Wochen getroffen, meist fällt es aber positiv aus.
Problematischer ist es für die Migranten, einen Arbeitgeber zu finden, der bereit ist, sie einzustellen. Solange sie auf Arbeit warten müssen, versuchen wir, sie mit dem Besuch von Integrations- und Sprachkursen auf die neue Heimat vorzubereiten.
Die Kurse finden zum Teil in Winsen statt. Zum Teil schicken wir die Migranten auch nach Celle, dort gibt es zwei Anbieter von Sprachkursen, die Volkshochschule und das CJD. Bei dem einen Sprachkurs wird für Mütter sogar eine Kinderbetreuung angeboten.
Kannst du Unterschiede in der Integration aufgrund der Herkunft der Migranten beobachten?
Kannst du Unterschiede in der Integration aufgrund der Herkunft der Migranten beobachten?
Durch meine langjährige Erfahrung mit Menschen aus vielen verschiedenen Ländern habe ich natürlich Menschenkenntnis und auch Kulturkenntnis gewonnen. Und sicher gibt es große Unterschiede zwischen den Menschen und Kulturen. Allerdings hängt der Erfolg der Integration auch damit zusammen, wie wir als Land die Migranten empfangen und zu integrieren versuchen.
Es gibt Nationalitäten, die herzlich und mit offenen Armen empfangen werden, und eben auch Nationalitäten, mit denen wir als Gesellschaft uns schwerer tun. Z. B. wurden die Ukrainer mit offenen Armen in Deutschland aufgenommen, sie hatten von Anfang an viel weniger Einschränkungen und Auflagen als die bisherigen Migranten.
Die Bundesregierung machte ihnen das Ankommen in Deutschland viel leichter. Das hat mir gezeigt, wie weit wir schon mit der Migration hätten sein können, wenn alle solche Start-Voraussetzungen gehabt hätten. Es ging plötzlich alles viel einfacher als bisher.
Der Druck, den wir durch die Gesetze und Bürokratie auf die Migranten ausgeübt haben, hat die Menschen frustriert, und das ewige Warten auf alles Mögliche hat sie zermürbt.
Den ukrainischen Flüchtlingen wurde es sehr viel einfacher gemacht. Die Menschen sind alle aus den gleichen Gründen gekommen, z. B. Krieg oder Gewalt. Aber die nicht-ukrainischen Migranten leben oft noch in der Angst, abgeschoben zu werden, weil ihre Anerkennung zum Teil sehr lang braucht.
Ich höre oft von den Migranten, dass Deutschland für sie wie ein offenes Gefängnis ist, weil die Hoffnung auf Freiheit und Sicherheit Stück für Stück stirbt.
Oft habe ich mich im Jahr 2015, als wir so viele syrische Flüchtlinge aufgenommen haben, gefragt, ob sie wirklich aus einem Kriegsgebiet kamen, sie waren so voller Lebensfreude und Glück, hier zu sein.
Wenn ich diese Menschen heute nach fast zehn Jahren treffe, stelle ich fest, wie sehr sie sich verändert haben; sie sind frustriert, zermürbt und die Lebenskraft scheint verschwunden zu sein. Das trifft mich jedes Mal sehr.
Welche Erfahrung hast du mit Migranten gemacht, die schon ein paar Jahre in Deutschland sind?
Welche Erfahrung hast du mit Migranten gemacht, die schon ein paar Jahre in Deutschland sind?
Erstmal möchte ich sagen, dass ich in den vielen Jahren meiner Tätigkeit als Integrationsbeauftragte immer von der Unterstützung durch viele ehrenamtliche Mitarbeiter profitieren konnte. Sie haben Deutschkurse angeboten, bei Behördengängen und Arztbesuchen begleitet, sie haben Migranten familiär behandelt, sie an Feiertagen nicht allein gelassen, sondern sie miteinbezogen.
Es gibt so viel Bereicherung durch die Ehrenamtlichen, da möchte ich hier nochmal die Gelegenheit nutzen, mich bei jedem einzelnen zu bedanken. Ich habe diese Arbeit nicht allein gemacht.
Meine Erfahrung ist, dass jeder Mensch einen ganz eigenen Charakter hat. Es ist nicht nur die Herkunft, die die Menschen prägt. Man kann keinen Menschen nur in die Schublade seiner Kultur stecken, jeder Mensch ist individuell.
Aber mittlerweile passiert es mir ganz oft, dass ich an Menschen, bei denen ich gar nicht weiß, wo sie herkommen, charakteristische Eigenschaften feststelle und dann denke, das ist ja genauso wie bei dem Syrer Sina oder genauso wie bei der Ukrainerin Natalia (Namen sind hier natürlich zufällig).
Das ist der gleiche Charakterzug bei Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Für mich immer ein lustiger, freudiger Moment, wenn ich das feststellen kann.
Für mich ist es ein großes Geschenk, durch meine Arbeit so viele Menschen kennenlernen zu können. Trotz der vielen Kämpfe, Frustrationen und Niederlagen, die wir aushalten mussten, ist es für mich eine große Bereicherung zu sehen, wieviel diese Menschen, die ich begleiten durfte, geschafft und ausgehalten haben.
Viele Migranten haben Winsen verlassen, weil sie z. B. beruflich keine Perspektive besaßen. Aber wir haben immer noch 20 bis 30 Personen in Winsen, die 2014/2015 zu uns gekommen und mittlerweile auch eingebürgert sind.
Sie haben Arbeit, sind Fachleute und konnten zudem ihre Familien nachholen. Das hat aber alles sehr lang gedauert, und die Nerven und die Kraft, die das gekostet hat, erfordern einen starken Charakter. Diese Menschen haben meinen Respekt.
Und mein Zitat, mein Motto in all meinen Jahren als Integrationsbeauftragte war und ist immer noch: „Wenn jemand dir sagt, es geht nicht, dann ist es seine, aber nicht meine Grenze“.
Egal ob es Serben, Georgier, Armenier oder was auch immer waren, wir haben uns für jeden eingesetzt, wir haben jede Person als einen Gewinn für unsere Gesellschaft gesehen. Und das haben wir durch unsere Arbeit zu bestätigen versucht, wir brauchen jede Person.
Schlusswort zu dem Interview von Karina Ibrahimova
Schlusswort zu dem Interview von Karina Ibrahimova
Mein Wunsch zum neuen Jahr wäre, dass alle Menschen, die zu uns kommen und unsere Hilfe und Unterstützung brauchen, die also Deutschland als „Rettungsland“ sehen, herzlich willkommen geheißen werden.
Es wäre schön, wenn alle, egal welcher Herkunft, Kultur oder welchen Glaubens, das gleiche Bleiberecht oder den gleichen Aufenthaltsstatus erhalten, zumindest erstmal für ein Jahr.
Fakt ist, diese Personen sind jetzt in Deutschland, brauchen Hilfe und unsere Unterstützung, und meiner Meinung nach sollten sie alle sofort die Erlaubnis zum Arbeiten und auch die Möglichkeit, an einem Sprachkurs teilzunehmen, erhalten.
Dann, nach einem Jahr, können wir als Ausländerbehörde, Arbeitsagentur oder Integrationsbüro die Personen zum Gespräch einladen und sehen, was die Person in diesem einen Jahr geschafft hat.
Inwieweit hat sie versucht, sich zu integrieren? Hat sie sich um einen Arbeitsplatz bemüht? Hat sie an einem Sprachkurs teilgenommen, hat sie ihr Umfeld, die Kultur in der neuen Heimat kennengelernt?
Dann kann man entscheiden, ob die Person das Bleiberecht bekommen oder ausgewiesen wird. Die Migranten hätten so die Möglichkeit, ihre Identität zu bestätigten, ihnen würde die Möglichkeit zur sofortigen Integration gegeben. Das wäre mein Wunsch an unsere Politik, dass sie den Migranten diese Möglichkeit gibt.
Ich bin davon überzeugt, dass diese Idee vorteilhaft für beide Seiten wäre. Deutschland würde durch die Ein-Jahres-Frist kein großes Risiko eingehen, nach einem Jahr könnte man schauen, wie es funktioniert.
Die Migranten hätten durch das sofortige Recht auf Arbeit und die Gewissheit, dass sie vorerst für ein Jahr bleiben können, mehr Sicherheit und könnten sich ausschließlich auf ihre Integration konzentrieren.
Es wäre wie eine Probezeit bei einem Arbeitsverhältnis, die beiden Seiten Sicherheit bietet.